Ostern in der Antoniterkirche Köln — Triduum sacrum AD 2017

An Ostern fah­re ich tra­di­tio­nell nach Köln zur evan­ge­li­schen Anto­ni­ter­Ci­ty­Kir­che. Sie wird mit einem Augen­zwin­kern der „evan­ge­li­sche Köl­ner Dom“ genannt. Sicher ist dar­in schon auf­grund der Lage ein wah­res Wort gespro­chen: Denn die Kir­che liegt mit­ten auf der lau­ten Schil­der­gas­se — „Kölns Shop­ping­mei­le Nr. 1“. So ist die­se goti­sche Kir­che nach dem ech­ten Köl­ner Dom die am zweit­häu­figs­ten besuch­te. Im gan­zen Tru­bel der Groß­stadt ist sie Schnitt­stel­le zwi­schen Kir­che und Öffent­lich­keit. Für mich ist die­se Kir­che auch ein wich­ti­ger Mei­len­stein auf mei­nem eige­nen Weg. Denn in ihrer Öku­me­ni­schen Cho­ral­scho­la Köln habe ich selbst vie­le Jah­re lang gesun­gen. Und eigent­lich kann ich sogar sagen, dass mein Weg zur Lit­ur­giewis­sen­schaft hier begann: Ich war fas­zi­niert von den alten Gesän­gen der west­kirch­li­chen Tra­di­ti­on wie Ecce lig­num cru­cis. Die tie­fe Kraft und ruhen­de Aus­strah­lung der Gesän­ge berüh­ren Men­schen seit Jahr­hun­der­ten. Mit ihnen prägt die Scho­la vie­le Got­tes­diens­te im Jahr. Dazu gehört auch die Karfreitagsliturgie. 

Außenansicht der Antoniterkirche von der Schildergasse — Ostern 2017

Ostern — Aus drei mach eins

Das Oster­fest wird an der Anto­ni­ter­Ci­ty­Kir­che in der alten Form des Tri­du­um sacrum began­gen. Von Grün­don­ners­tag bis zum Oster­tag wird ein zusam­men­hän­gen­der Got­tes­dienst gefei­ert. Ein lit­ur­gi­scher Span­nungs­bo­gen reicht vom Tisch des Herrn über Ver­rat, Gefan­gen­nah­me und Tod bis hin zur Herr­lich­keit Sei­ner Auf­er­ste­hung. Das bedeu­tet natür­lich nicht, dass man in die­ser Zeit in der Kir­che kam­pie­ren muss. Viel­mehr ent­fal­len lit­ur­gi­sche Ele­men­te wie zum Bei­spiel der Segen, der einen Got­tes­dienst nor­ma­ler­wei­se abschließt. Statt­des­sen wird er durch einen schlich­ten Frie­dens­gruß als Sen­dungs­wort ersetzt. Dadurch wer­den – lit­ur­gisch gespro­chen – aus drei Got­tes­diens­ten ein einziger.

Ostern beginnt — Der Gründonnerstag

Die Eucha­ris­tie, die aus der Inkar­na­ti­on kommt, ist Zen­trum des christ­li­chen Glau­bens. Die Nacht, in der sie ihren Anfang aus dem Han­deln und Auf­trag des Herrn nahm, steht am Beginn des Oster­ge­sche­hens. Bevor Chris­tus ver­ra­ten wird und in den Tod geht, lässt Er den Men­schen das Sakra­ment Sei­ner Nähe als Pro­vi­ant, bis Er wie­der­kommt. Er hat – trotz des Ver­ra­tes – so für sie gesorgt. Und als die Jün­ger Ihn ver­lo­ren glau­ben auf dem Weg nach Emma­us, erin­nert der Auf­er­stan­de­ne sie an die­se Nacht. Die­ses Vor­bild aus Sei­nem Han­deln hat die Kir­che seit­her zur Grund­la­ge ihrer Lit­ur­gie gemacht. Des­we­gen nennt die evan­ge­li­sche Kir­che die Eucha­ris­tie auch das Hei­li­ge Abend­mahl. Wir sind auf dem Weg und benö­ti­gen den Herrn selbst als unse­ren Pro­vi­ant. Jede Fei­er der Eucha­ris­tie führt uns zurück zu die­sem Abend und zu Chris­tus, der an uns han­delt. Die­sen Kern­ge­dan­ken atmen alle christ­li­chen Got­tes­diens­te. Wenn Pfings­ten der Geburts­tag der Kir­che ist, dann ist Grün­don­ners­tag Geburts­tag ihres Gottesdienstes.

Ostern in Köln — Karfreitagsaltar

Hoher Freitag — Die Kreuzigung

Der Altar – altes Sym­bol für Chris­tus selbst – ist leer. Er ist nackt den Bli­cken der Men­schen aus­ge­lie­fert. Am Ende des Grün­don­ners­ta­ges wur­de er abge­deckt. Allein die Dor­nen­kro­ne auf einem vio­let­ten Kis­sen ist geblie­ben. Es ist in die­ser evan­ge­li­schen Kir­che das ein­zi­ge Mal im Jahr, dass der schwar­ze preu­ßi­sche Talar getra­gen wird. Also auch der lit­ur­gi­sche Dienst ist bis auf das Unter­ge­wand ent­klei­det. Dies alles ist Aus­druck der Trau­er und des Ver­stum­mens. Die Men­schen sind an die­sem Tag mit ihren eige­nen Abgrün­den und all den Din­gen, die wir gewöhn­lich ver­ber­gen wol­len, konfrontiert.

Ostern in Köln — Ökumenische Choralschola Köln

Gregorianik — das Unfassbare gewinnt Wortgestalt

Neben der Ver­le­sung der Pas­si­ons­ge­schich­te und den Impro­pe­ri­en sind die gre­go­ria­ni­schen Cho­rä­le das bewe­gends­te Ele­ment der got­tes­dienst­li­chen Fei­er. Sicher, es ist beein­dru­ckend den Text der Pas­si­on zu hören — vor allem, wenn die Ankla­gen durch das Volk „Lass ihn kreu­zi­gen!“ von der Orgel­em­po­re geru­fen wer­den. Mir wird dar­an zwei­er­lei deut­lich: zum einen, dass wir uns in einem evan­ge­li­schen Got­tes­dienst befin­den, aber zum ande­ren auch wie sehr wir selbst zu die­sem Mob gehö­ren, der den Herrn ans Kreuz brachte.

Verlesung der Passionsgeschichte nach Mt

Fast wohl­tu­end kühl wirkt da die stil­le Theo­lo­gie der Gre­go­ria­nik. Es gibt auf You­Tube vie­le Bei­spie­le, eines habe ich wei­ter oben ja schon ver­linkt. Hier möch­te ich auf den Gesang ver­wei­sen, der in mei­nen Augen in der Mit­te des gan­zen Gesche­hens ist. Es ist die Situa­ti­on des Jün­gers, der fas­sungs­los vor der bru­ta­len Fol­ter­ge­walt des Kreu­zes ver­harrt. Auch wer nie Latein gelernt hat, hört die Kla­ge, die sowohl den Römern gilt, die den Herrn kreu­zig­ten, wie dem eige­nen Ver­schul­den, das die Grau­sam­keit nicht zu ver­hin­dern versuchte.

Kreuzverehrung

In einem evan­ge­li­schen Got­tes­dienst, der sich der zwei­fels­oh­ne heh­ren, oft auch päd­ago­gi­sie­ren­den Geis­tig­keit sei­ner lit­ur­gi­schen For­men ver­schrie­ben hat, ist die Kreuz­ver­eh­rung sicher das größ­te Kurio­sum. Die­se alte lit­ur­gi­sche Tra­di­ti­on der unge­teil­ten Chris­ten­heit wird auch in Köln an der Anto­ni­ter­kir­che bewahrt. Dabei chan­giert die Wirk­lich­keit. Ich ste­he vor dem Kreuz in Köln und doch zugleich auch fas­sungs­los auf Gol­ga­tha. Die Lit­ur­gie schenkt mir die Erin­ne­rung mei­ner Väter.

Ostern in Köln — Kreuzverehrung

Gott ist tot. Der Mensch lebt. Nicht anders konn­ten die Augen des Men­schen es erbli­cken. Es ist die ver­kehr­te Welt, die sich offen­bar­te, als man vor dem Kreuz stand. Die gan­ze Gemein­de trat nach vor­ne und ver­harr­te einen Moment vor dem Kreuz. Sie wur­de gewahr, dass der Herr für sie die­sen Weg auf sich genom­men hat­te, und zog schwei­gend zurück an ihren Ort.

Kreuzverehrung — Ostern in Köln

Gehet hin im Frieden des Herrn!

Am Kar­frei­tag wird mir das Feh­len des Segens beson­ders deut­lich. Es ist die unver­söhn­li­che Situa­ti­on, die dem Men­schen die Spra­che raubt. Es gibt kei­ne Ver­söh­nung, die der Mensch wir­ken könn­te. Für ihn ist alles ver­lo­ren. Er hat alles ver­spielt. Der ein­zi­ge, der jetzt noch han­deln kann, ist der Drei­ei­ne Gott selbst. Dar­um bleibt Sein Frie­den. Sein Frie­den ist das ein­zi­ge, was bleibt.

Replik des Schwebenden von Ernst Barlach in der Antoniterkirche

Osternacht und Ostersonntag

Es liegt in der Natur der Sache, dass mir die Wor­te feh­len, wenn ich an die Nacht der Ostern den­ke. Nach dem stum­men Aus­har­ren, das ich jedes Jahr sehr inten­siv erle­be, ist der Gang zur Kir­che am Sams­tag­abend ein Akt der Befrei­ung. Eigent­lich müss­te ich sagen, dass es kein Gang ist, den ich mir selbst aus­su­che. Nein, viel tref­fen­der muss ich sagen, dass ich gezo­gen wer­de. Es ist auch wirk­lich kein schö­ner Kirch­gang. Die Gra­bes­stil­le und die Dun­kel­heit der Nacht haben wenig gemein mit dem Ostern mei­ner Kind­heit. Da jag­te ich durch den Gar­ten. Und such­te unter den Büschen klei­ne Nes­ter mit bun­ten Eiern.

Säule in der Antoniterkirche

Ostern — Offenbarung der Wirklichkeit Gottes

In der Anto­ni­ter­kir­che gibt es eine Säu­le, die nicht über­tüncht wur­de, son­dern die bun­te Struk­tur der alten Male­rei der Kir­che offen­bart. In die­sem Jahr habe ich an die­ser Säu­le, an der frei­ge­legt wur­de, was das mensch­li­che Auge nicht sehen kann, eine klei­ne wort­lo­se Pre­digt zu Ostern gehört. Für den Men­schen damals muss Chris­tus am Kreuz gestor­ben sein: Er ist ins Grab gelegt wor­den. Für uns heu­te ist die Kir­che ein­tö­nig gräu­lich-weiß. Aber wem der Herr offen­bart, dass Er nicht im Tode ver­blie­ben ist, wer sehen darf, wie präch­tig und far­ben­froh das Reich Got­tes ist, der sieht die Welt und lebt im Hier und Dort, wie es im Anfang war. Und ist und sein wird.

Der Herr ist auferstanden!
Er ist wahrhaftig auferstanden!

Replik einer Barlach-Statue in der Antoniterkirche — Ostern 2017