Stoffsäcke — Eine Legende des Nikolaus von Myra

Es poch­te dumpf von der Tür. Das Holz schab­te knar­zend über den Boden. Gewand­stof­fe raschel­ten still, als sie sich in den Raum ergos­sen und feuch­te Haut zöger­lich auf den kal­ten Stein traf. Am Pult, das fein gear­bei­te­te Schnit­ze­rei­en zier­te, blick­te er auf. Es brann­ten zwei Ker­zen, die die auf­ge­schla­ge­ne hei­li­ge Schrift erleuch­te­ten. Sie fla­cker­ten mit einem Mal.

- Mein Vater. Es ist geschehen.

Die warm und gnä­dig lächeln­den Augen ver­lo­ren ihren Schein. Der Griff der Hän­de am Pult ver­här­te­te sich, Halt suchend. Doch er fand kei­nen. Er wich fast tau­melnd eini­ge Schrit­te zurück, die Hand nach der Wand hin­ter sich ausgestreckt.

- Vater…

- Ja, mein Sohn. Du darfst gehen.

Kapitell mit 3 Jungfrauen — Nikolaus von Myra

Wenig spä­ter ver­ließ er das Klos­ter und eil­te zum Anwe­sen sei­ner Eltern. Die Nacht war ruhig und trüb. Die Ster­ne waren ver­han­gen von Wol­ken. Sche­men­haft, ja die­sig lug­te der Mond hin­ter der Wol­ken­de­cke her­vor. In sei­nem Kopf rumor­ten die Gedan­ken, im Her­zen die Gefüh­le, im Magen die Krämp­fe. Die Stra­ße her­ab und eini­ge Stu­fen hin­auf. Unter einem Stein­bo­gen her und scharf links. Der Moment des letz­ten Wie­der­se­hens. Sie waren in Stil­le ver­stor­ben. Eine Die­ne­rin öff­ne­te trä­nen­ver­han­gen dem Abt und wich in ehr­furchts­vol­ler Ver­nei­gung vor ihm zurück. Er eil­te durch die Arka­den des Innen­ho­fes in das Schlaf­ge­mach, wo ein schwarz geklei­de­ter Dia­kon und Arzt gera­de die Aus­seg­nung beschloss. Die Pest­beu­len hat­ten sei­ne Eltern furcht­bar gezeich­net. Ihre Gesich­ter waren ent­stellt. Ehe­mals vio­let­te Krän­ze auf krei­de­blei­cher Haut, man­che bereits eit­rig zer­fa­sert. Süß­li­cher Geruch der uner­bitt­li­chen Ver­we­sung durch­ström­te den Raum. Die Mün­der stan­den offen und die Augen blick­ten starr in den Himmel.

Der Mann erblick­te sei­nen Abt.

- Mein Vater. Ich –

- Bru­der Cos­mas, wie groß war ihr Leiden?

- Sie sind erlöst.

Er nick­te. Der Dia­kon ging. Er trat an das Bett und leg­te sei­nen Eltern die Hän­de auf.


Wer das Leben liebt,
darf den Tod nicht hassen.
Denn bei­de kom­men aus der Hand
des glei­chen Schöpfers.


Das Haus erbrach­te ein klei­nes Ver­mö­gen. Die Län­de­rei­en ver­spra­chen eine ste­ti­ge Pacht. Dem Monas­terion war eine blü­hen­de Zukunft auf den Grä­bern zwei­er Men­schen beschert. Es floss über. Das Geld sam­mel­te er im Kel­ler, ver­steckt in drei schlan­ken und wenig ansehn­li­chen Stoff­sä­cken. Unbe­merkt stan­den sie zwi­schen den Vor­rä­ten. Ver­schlos­sen im Bereich des Cellerars.

Mitgift für die drei Jungfrauen — Nikolaus von Myra

Sei­ne Augen gewan­nen ihren Glanz zurück, als die Eltern ver­scharrt waren. Er sah den Licht­schein des Him­mels in der Dun­kel­heit, durch die er wan­der­te, bevor die Vigi­li­en begin­nen muss­ten. Er sah, wovon vie­le gera­de träum­ten. Wie ein lei­ses Säu­seln, das vor ihm her­lief und an einem Haus kle­ben blieb. Die Ruhe des All­tags lag wie ein Schlei­er über den Wun­den der Pest. Der Nebel durch­drang die ver­win­kel­ten Gas­sen und ließ einen klam­men Film auf den Stein­häu­sern und Stra­ßen zurück. Man muss­te sich sor­gen, nicht aus­zu­g­lei­ten in die­ser Zeit, die dem Monas­terion gro­ßen Reich­tum ein­ge­bracht hat­te. Der ehr­wür­di­ge Vater wuss­te das, als er vor dem Haus stand, das Bru­der Cos­mas ihm gewie­sen hatte.

Stoffsäcke — Nikolaus von Myra

Er stell­te sei­ne Last ab vor dem Fens­ter. Dann spann­ten sich die Mus­keln. Ein dump­fes Auf­schla­gen. Ein wei­te­res, ein letz­tes. Es waren drei schlan­ke und wenig ansehn­li­che Stoffsäcke.

Eine der drei Töch­ter schlief unru­hig. Sie erwach­te von den drei dump­fen Tönen. Lief zum Fens­ter. Alle Sor­gen lös­ten sich mit den Schnü­ren, die die Stoff­sä­cke ver­schlos­sen. Ein Keu­chen von drau­ßen ließ sie auf­hor­chen und durch das Fens­ter nach der Welt schau­en. Sie sah eine schwar­ze Gestalt hin­ter der Gas­se verschwinden.

In aller Frü­he lief sie geschwind zum Monas­terion. Sie klopf­te an das gro­ße Por­tal. Es öff­ne­te nie­mand. Es war die Zeit der Lau­des. Sie hör­te Fuß­tap­sen hin­ter sich wie von jeman­dem, der sich verspätete.

– Cos­mas, ich dan­ke dir!

Er wies ableh­nend von sich weg. Auf die Kir­che, aus der die Gebe­te erklangen.

– Nicht mir. Dank‘ unse­rem Vater Nikolaus!

Russische Ikone — Nikolaus von Myra