Heimsuchung Marien ist eines der wunderschönen Feste des Kirchenjahres, an dem heilige Frauen im Mittelpunkt stehen. An ihm erinnert sich die Kirche aller Zeiten an einen Besuch, den Maria ihrer Base Elisabeth abstattete. Die beiden waren bei ihrem Wiedersehen schwanger. Das eigentliche Wunder, von dem wir durch den Evangelisten Lukas wissen, ereignete sich allerdings zwischen den beiden ungeborenen Kindern. Denn sie erkannten sich, als Marias Gruß an Elisabeths Ohr drang. Da sprang Johannes der Täufer in ihrem Bauch vor Freude. Und diese Freude springt auf die Mutter über. So beginnt die Verkündigung Johannes des Täufers wundersamerweise bei seiner eigenen Mutter noch vor seiner Geburt. Die alten Worte des kleinen Gebetes Ave Maria stammen aus diesem Moment der Freude. Und die Freude erfüllt bis heute all jene, die diese Worte in ihrem Herzen bewegen.
Eine alte Grafenkapelle in Bad Godesberg
Ludwig Maximilian Freiherr von Rigal-Grunland ließ diese kleine Kapelle in den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts bauen. Damals war die Rigal’sche Kapelle der erste eigenständige evangelische Kirchbau im gesamten linksrheinischen Bonner Stadtgebiet. Es ist ein Ort, der Geschichte atmet. Und wenn ich an die Einschlagslöcher über dem Portal der Kapelle denke, dann ist atmen wohl ein zu milder Ausdruck. Dieser kleine Beitrag handelt vom 159. Geburtstag der alten Dame. Sie wurde am 1. Juli 1858 geweiht. Geburtstagsbesuch erhielt sie vom Westkonvent der Hochkirchlichen St.-Johannes-Bruderschaft. Heimsuchung sagte man zu diesen Besuchen, als die alte Dame noch jünger war. Und das Fest, das die Gemeinschaft mit und in der Kapelle feierte, war nach dem alten Kalender der Vorabend der Heimsuchung Marien bei Elisabeth.
Die Rigal’sche Kapelle, eine alte Dame
Als ich die Kapelle betrat, bot sich mir ein trauriger Anblick. Auf dem Altar stand das mächtige schwarze Holzkreuz auf einem echtsilbernen Podest. Auch die beiden Leuchter kündeten vom Glanz des vorletzten Jahrhunderts, den der Freiherr einst gestiftet hat. Wenn die Bruderschaft kommt, ist es in gewisser Weise so, dass die alte Dame liebevoll in ihren Sonntagsstaat gekleidet wird.
Sonntagsstaat zur Heimsuchung
Die Geschwister heben sie dann vorsichtig aus dem großen Sessel, in dem sie normalerweise sitzt und auf Besuch, auf Heimsuchung wartet. Mit altersmildem Blick bedenkt sie den schlichten Schmuck, den die evangelische Kirchengemeinde ihr beigegeben hat. Da war zum einen eine Osterkerze mit dem angestaubten Schick der 80er Jahre. Sie war sehr hoch für den Altar. Fast hatte ich das Gefühl, als wüsste sie selbst nicht so recht, warum sie da auf der Epistelseite ohne Ständer stehen muss. Zum anderen hatte man der alten Dame noch gelbe Blumen mitgebracht. Es müssen ihre Lieblingsblumen gewesen sein, denn sie waren schon etwas welk, aber sie schien sich trotzdem an ihnen zu freuen. Allein die Bibel als das Familienalbum mit den Erinnerungen aus der guten alten Zeit verriet etwas davon, dass die alte Dame wohl etwas missmutig war. Sie hatte zuletzt in den strafenden Worten Jesajas geblättert.
Hochkirchlicher Altarschmuck aus dem Koffer
Es ist offensichtlich, dass der hochkirchliche Ritus besondere Anforderungen an den Kirchraum stellt. Die Riten der reformierten frankophonen Gastgemeinde oder der evangelischen Kirchengemeinde, der der Freiherr seine Kapelle damals vermacht hat, sind da weniger aufwendig. So nimmt es nicht wunder, dass die ersten Handgriffe für das Anlegen des Sonntagsstaats bereits gut eingespielt sind.
Aus der alten Dame wird eine hochkirchliche Kapelle
Anhand des Altars können wir schon einige Beobachtungen machen, die uns viel verraten. Wir sehen die sechs Altarleuchter der Tradition und ein Kreuz mit corpus. Die sehr wuchtigen Altargegenstände sind durch filigranere ersetzt worden. Darüberhinaus haben auch genuin orthodoxe Elemente auf den Altar gefunden. Auf der Evangelienseite verkündet eine Ikone mit Christus und der Gottesmutter vom Geheimnis der Inkarnation. Gegenüber steht eine Ikone mit dem lehrenden Christus auf der Seite der Epistel — des Lehrtextes.
Die Vollbibel ist ersetzt worden durch ein Lektionar. Dieses liegt auf einem Antimension. Das ist ein orthodoxes Altartuch mit eingenähter Reliquie, das dort auf jedem Altar liegt. Im Westen wäre der Altarstein mit dem Reliquiengrab unter dem Altar ein vergleichbares Element des Kirchbaus. Das Antimension zeigt verschiedene Szenen aus dem Leben — besonders der Passion Jesu Christi. Als wichtigste ist die Grablegung in der Mitte dargestellt, umrahmt wird es von den Symbolen der Evangelisten. Anders als in der orthodoxen Tradition, in der das Antimension – einem Corporale vergleichbar – nur zu einem bestimmten Punkt auseinandergefaltet wird, bleibt es hier während der gesamten Eucharistiefeier ausgebreitet auf dem Altar liegen.
Die Heilermesse der Johannesbruderschaft
Das liturgische Formular, nach dem der Orden die Messe zelebriert, geht auf den Religionswissenschaftler und Gründer der St.-Johannes-Bruderschaft Friedrich +Irenäus Heiler zurück. Die sogenannte Heilermesse von 1948 ist ein liturgischer Brückenschlag zwischen Ost und West. Bei meinem Vortrag bei der European Academy of Religion in Bologna habe ich ein paar Gedanken dazu gesammelt. Sie ist ein Kunstprodukt der jüngeren liturgischen Bewegung, die nach 1918 durch die Hochkirchliche Vereinigung angestoßen wurde. Dennoch nehme ich dieses Formular, das liturgische Elemente aus dem breiten Spektrum der Kelten, Gallikaner, Römer, Reformatoren, Griechen bis hin zu den Syrern im Osten aus der Zeit der alten Kirche bis zum 20. Jahrhundert enthält, immer als überaus stimmig wahr. Heiler hat es im 20. Jahrhundert geschafft, ein altkirchliches Formular zu kreieren. Auch wenn das paradox klingt, will ich es mal so stehen lassen. Am besten ist, Ihr besucht selbst einmal eine Heilermesse. Sie ist ein liturgiewissenschaftliches Kunstwerk.
Hochamt zu Heimsuchung Marien
Das Hochamt am Tage feierte die Ordensgemeinschaft halblevitiert, wie ich mit einem Augenzwinkern sagen möchte. Da sich die Bruderschaft dem altkirchlichen Amt verschrieben hat, nehmen die Brüder die einzelnen Beauftragungen auch als geistliche Aufgaben sehr ernst und dienen treu in ihren jeweiligen Weiheämtern. So dienten im Hochamt neben dem Priester auch ein Subdiakon und ein Akolyth. Sie transzendieren auf diese Weise herkömmliche konfessionelle Grenzen und beschreiten einen wahrhaft ökumenischen Weg. Die Sakramente, die innerhalb der Bruderschaft verwaltet werden, sind seit der Bischofsweihe des Ordensgründers in apostolischer Sukzession von allen Großkirchen anerkannt. Das erfuhr ich vor einigen Jahren und es beeindruckte mich sehr. Die Gemeinschaft versteht dies aber nicht als gemütliches Plätzchen, auf dem sie sich sonnen könnte. Nein, vielmehr begreifen die Geschwister diesen Segen als Aufgabe und hohes Gut, das es treu und demütig zu bewahren gilt.
Paramentik des Hochamtes
Die schönen weißen Paramente erzählten bereits, dass es auch an diesem Marienfest letztlich um das Christusgeheimnis geht. Der Akolyth trug über seinem schwarzen Talar, den die Johannesbrüder mit einem Leder- oder Stoffzingulum und dem silbernen Elisabethkreuz an der roten Kordel tragen, ein gotisches Chorhemd. Diese Chorhemden sind die etwas verkürzten Alben der Ministranten, damit diese in der heiligen Handlung ungehindert dienen können. Zugleich erinnert mich diese besondere Form an den Ursprung des High-Church-Movement in England zur Weihezeit der Rigal’schen Kapelle. Subdiakon und Priester trugen die klassischen Paramente: Albe, Zingulum, Manipel, Tunicella beziehungsweise Casel und der Priester die Stola. Die Verleiblichung des Wortes Gottes findet so auch ihre liturgische Umsetzung. Die Verhüllung des Menschen in die Gewänder des Heils zeigt ihn, wie Gottes Liebe ihn schaut. Zu sehen sind das Angesicht, wer er ist, und seine Hände, was er tut. Alles andere aber bleibt gnädig verborgen.
Kirchenmusik der ungeteilten Christenheit
Die Bruderschaft sang neben Liedern aus dem dicken roten Evangelischen Gesangbuch, die der reiche Schatz der protestantischen Liedfrömmigkeit sind, auch die reichen Messgesänge der Gregorianik. Sie erscheinen neben den melodisch aufwendigeren und oft mehrstimmigen Weisen der Orthodoxie zwar schlicht, doch bieten sie auch im bescheideneren Rahmen die Möglichkeit gesungener Wortverkündigung. Eine kleine Kantorenschola in der weißen Kukulle, die die Professen der Bruderschaft tragen, führte die Sologesänge des Ordinariums und Propriums und bot der sangesfreudigen Gemeinde auch tonale Sicherheit.
Propriumstexte und Predigt zu Heimsuchung Marien
Das Hohelied 2,8–14 als Epistellesung und das Lukasevangelium 1,39–47 prägten den textlichen Zusammenhang des Hochamtes. In der Predigt hob der Zelebrant ab auf den Zusammenhang des Hohenliedes mit der Kirche. Die Liebesbeziehung zwischen Christus und seiner Braut der Kirche stand im Zentrum der Predigt, wie der ganzen Messe. Es war für mich besonders erhebend zu erleben, wie die Predigt hier nicht auf die Grenzen der Kanzel beschränkt war. Die gesamte reiche Fülle der heiligen Handlung verkündigte Christus als den Heiland der Welt.
Maranatha! — Texte der Liturgie
Durch die kunstvolle Komposition der Texte ist die christliche Tradition umrahmt. Die Erwartungshaltung der zweiten Wiederkunft Christi ist aus den Tagen der alten Kirche bis in unsere Gegenwart in liturgische Formen gegossen. Bei der ersten Eucharistiefeier der Bruderschaft in dieser Kapelle, meinte der hiesige Pfarrer begeistert: „Hier sieht man ja, was das Christentum glaubt!“ Mir persönlich wird dies im Moment des ostkirchlichen Rufs „Das Heilige den Heiligen!“ besonders bewusst. Der Zelebrant wendet sich mit verschränkten Armen, Kelch und Patene in den Händen zum Volk. Leib und Blut Christi sind am Kreuz zu sehen. Das Volk Gottes steht auf Golgatha und antwortet tiefverneigt auf diesen Ruf: „Einer ist Heilig! Einer der Herr! Jesus Christus, zur Ehre Gottes des Vaters!“ Die Selbstvergegenwärtigung Christi in der heiligen Liturgie lässt die Menschen mit ihm auferstehen in das neue Leben bei Gott hinein. Die Eucharistie wird zum Urgrund des christlichen Lebens.
Leben der Hochkirchlichen St.-Johannes-Bruderschaft
Aus der Freude der Eucharistie lebt die St.-Johannes-Bruderschaft ihr geistliches Leben. Sie ist eine Gemeinschaft von Männern und Frauen, die ein eremitisches Leben am Puls der Zeit führen. Damit sind sie der ehrwürdigen Tradition der Kirche verpflichtet und leben evangelisch-katholisch-orthodox im Hier und Jetzt des 21. Jahrhunderts.