EuARe — European Academy of Religion. Dies ist der Name des internationalen Kongresses in Bologna, an dem ich vor wenigen Tagen teilnehmen durfte. Die Fondazione per le Scienze religiose Giovanni XXIII hatte in die wunderschöne historische Hauptstadt der Emilia Romagna eingeladen und Theologen aus der ganzen Welt kamen zusammen. Unweit der Kirche San Giovanni in Monte Oliveto hielt ich meinen Vortrag zur Bedeutung der liturgischen Bewegung in den evangelischen Kirchen Anfang des 20. Jahrhunderts. Nachdem das Panel Ecumenism in Germany beendet war, stolperte ich in dieses Kleinod auf Bolognas Ölberg. Und mit einem Mal stand ich nach einem Tag voller Ökumene vor dem Heiland, der betete „Ut omnes unum sint“.
„die Rote, die Gelehrte und die Fette“
So nennt man die alte Dame Bologna. Gerade in einer so verwinkelten Stadt, in der man in jeder Gasse hunderte Jahre Geschichte atmet, verbergen sich manche Geheimnisse. Der rote Backsteinbau San Giovanni in Monte Oliveto (Heiliger Johannes auf dem Ölberg) gehört eindeutig dazu. Wobei roter Backstein fast einen Pleonasmus in Bologna darstellt. Rot heißt sie des Backsteins wegen, der das Antlitz der gesamten Innenstadt mitsamt den Arkaden prägt. Gelehrt ist ihre Universität, die zu den ältesten Europas gehört. Und Fett… Nun ja über das Gewicht einer so altehrwürdigen Dame spricht man nicht, aber soviel sei gesagt: ich habe während des gesamten Kongresses der euare 2017 geschmaust wie lange nicht mehr. Vielleicht ist La Grassa auch gar nicht selbst fett, sondern macht fett. Das könnte ich jedenfalls schmunzelnd bestätigen.
Arkaden und Piazze
Die trockene Hitze in Bologna lässt sich am besten in den wunderschönen Arkaden aushalten. Die meiste Zeit habe ich auf meinen Streifzügen dort verbracht und gestaunt. Etwa, wenn mit einem Mal ein kleines Kirchlein oder eine Kapellenpforte in der Arkadenwand auftauchte. Es scheint ein altes Gesetz gegeben zu haben, dass die Häuser in der Innenstadt alle Arkadenvorbauten haben mussten. Für die Touristen und Besucher ist das heute ein Segen. Von unten kühlt der Steinboden. Von oben spenden die Bögen Schatten. Und meistens kommt von vorne ein laues Lüftchen, das Abkühlung spendet. Da waren auch 36° C im Schatten keine Herausforderung. Mit entspannter Ruhe ließ sich das sehr gut aushalten.
Wirklich drückend war es nur auf den vielen Piazze, wo die Sonne mit aller Kraft herabbrennen konnte. Auch auf dem Hauptplatz Bolognas, der Piazza Maggiore, an der neben dem berühmten Neptunsbrunnen mit der Basilica San Petronino auch die größte Backsteinkirche der Welt steht, war es unerträglich heiß. Dennoch tummelten sich die Touristen dort. Straßenmusiker erspielten sich kleine Honorare. Bettler baten um milde Gaben. Auch die Flüchtlingskrise, die seit einigen Jahren Europa beschäftigt, war traurigerweise mit Händen zu greifen.
EuARe 2017 — Ex nihilo Zero, Bologna
Das Vortragspanel „Ecumenism in Germany before the Second Vatican Council“ der EuARe fand in einem Palazzo an der Piazza San Giovanni in Monte statt. Aus Italien, Frankreich, der Schweiz und Deutschland kamen die Vortragenden und deckten in der Aula Ovidio Capitani Zusammenhänge auf, die heute nahezu vergessen sind. Ökumene im Anfang des 20. Jahrhunderts war eine Sache des Lebens, nicht des Papiers.
Die in der Una-Sancta-Bewegung engagierten Menschen lebten ökumenisch, oft experimentell aber sehr erfolgreich. Grenzen sind übersprungen worden, nicht zementiert. Denn, wer den Anderen schlicht den Anderen sein lässt, und dies für sich auch beansprucht, nähert sich ihm nicht, sondern bleibt im letzten von ihm entfernt. Anfang des 20. Jahrhunderts änderte man sich zuerst selbst und näherte sich darin dem Anderen an. Der Andere wurde zum eigenen Bruder, ganz wie es im Anfang war.
Wenn man studiert, hat man selten Augen für die Gebäude, in denen man lernen darf. Mir ging es jedenfalls in Bonn und Münster so. Obwohl beide Universitäten von wunderschönen Schlössern beherbergt werden. Da lauscht man den Vorlesungen der Professoren in alten Prachtzimmern, zu denen man als einfacher Bürgerlicher niemals Zutritt gehabt hätte. Ähnlich konnte man über den Palazzo staunen, in dem wir uns im Rahmen der EuARe trafen.
San Giovanni in Monte in Nachbarschaft zur EuARe
Am 8. Mai 435 weihte der Heilige Bischof Petronius, Patron Bolognas, an der Stelle der heutigen Kirche eine kleine Kapelle. Sie sollte der Kapelle der Heiligen Konstantin und Helena gleichen, die die beiden in Jerusalem auf dem Ölberg errichtet hatten. Petronius wollte auf sieben Hügeln in Bologna Kirchen errichten, um die Landschaft um Jerusalem herum nachzubilden. Für mich war die milde Stille, die von der Heiligkeit der Eucharistie in der Kirche zurückbleibt, und die gnädige Kühle der hohen Mauern wie die Sphäre des Himmlischen Jerusalems, das ich mit dem Kirchenportal betreten hatte.
Die Statue von Jesus Christus, der am Stamm des Kreuzes lehnt, ist natürlich der erste Moment, der dem Besucher ehrfürchtige Aufmerksamkeit abverlangt. Dieser Kreuzaltar, auf dem sechs große Leuchter stehen, ist der älteste Punkt des gesamten Baus. Wahrscheinlich ist es der einzige Teil, der von der ursprünglichen Kapelle aus dem fünften Jahrhundert noch erhalten ist. Diese war der Himmelfahrt Christi geweiht, daher steigt Christus hier, auch wenn der Corpus sicher wesentlich jüngeren Alters ist, vom Kreuz herab.
Zur linken des Kreuzaltars steht die Kanzel, als Ort der Predigt, direkt in der Menge des Kirchenvolkes. Zwar hat die Kirche heutzutage eine Bestuhlung und Kirchenbänke, doch sind diese eine ganz junge Entwicklung. Das sehen wir auch noch in den orthodoxen Kirchen, die nur für alte und kranke Menschen vereinzelt Stühle bereithalten. Und das, obwohl die orthodoxe göttliche Liturgie Stunden um Stunden dauert. Bequemlichkeit ist der Kirche ursprünglich fremd. Dazu gehören auch Mikrophonanlagen, was den Standort der Kanzel erklärt. Man sollte die Verkündigung ja auch verstehen. Mir ist bei der Besichtigung allerdings keine Leiter oder Treppe aufgefallen. Entweder wird diese nur zu den Messen herangetragen oder die Kanzel ist heute nicht mehr in Gebrauch. Zweiteres erscheint mir wahrscheinlicher.
Anders als die Kanzel künden die Opferkerzen vom Glauben und dem Vertrauen des Kirchenvolkes, das sich hier zur heiligen Messe versammelt. Sie stehen vor dem Kreuzaltar und verzehren sich als stumme Zeugen gen Himmel. In meinen Augen sind Kerzen Sinnbilder für den Dienst, den der Mensch Gott leistet. Die Kerze, wie der Mensch brennt nicht aus sich selbst heraus, sondern muss angesteckt werden. Die Kerze vom Streichholz, der Mensch vom Pfingstfeuer. Die Zeit der Kerze ist begrenzt, sie brennt, verzehrt sich ganz für das Feuer und steigt darin auf zum Himmel. So ist es mit dem Menschen, der Gott dient.
Ort der Heiligen Eucharistie
Die Hauptkapelle – und dafür bin ich der EuARe 2017 dankbar – war ein echtes Erlebnis. Hier ist der Ort, an dem Eucharistie gefeiert wird, an dem Christus zu den Menschen zurückkehrt im heiligen Sakrament des Altars. Die Christen aller Jahrhunderte lebten aus diesem Sakrament und für die Menschen der Una-Sancta-Bewegung, über die die Wissenschaftler meines EuARe-Panels forschten, galt dies in besonderem Maße. Hier in San Giovanni in Monte ist der Altar geschmückt mit einem Gemälde des Letzten Abendmahls. Also von dem Tisch, an dem alles begann.
Die Kuppel aus dem 15. Jahrhundert wölbt sich vor dem Presbyterium und ist heute leider in einem realtiv schlechten Zustand. Die Sonne mit dem Christus-Monogramm IHS (Iesus hominum salvator — Jesus Retter der Menschen, volkstümlich: Jesus Heiland Seligmacher) sitzt als Schlußstein darin. Die Sonne der Gerechtigkeit scheint über diesem Kirchbau mit dem uritalienischen Monogramm des Heiligen Bernhardin von Siena.
Die Sakramentskapelle ließ mich dann erschauern. Die Lampen und die Evangelistenstatuen umringen den Altar mit dem Leib Christi. Vor dem Altar befindet sich eine Ikone mit Christus und dem Lieblingsjünger Johannes an Seiner Brust. Neun Leuchter umstehen den Tabernakel. Über ihm auf dem Gemälde ist das Geheimnis der Menschwerdung dargestellt. Die Christus-Gegenwart offenbart sich hier in allen liturgischen Gegenständen und dem Schmuck. Wortlos dringt die Verkündigung des Wortes direkt ins Herz.
Diese wortlose Kommunikation geht mir bis heute nach. Vielleicht wird an dieser Stelle besonders deutlich, auf welche Weise Christus das Wort Gottes ist. Ja, wie Gott überhaupt wortlos Worte benutzt und spricht, seit dem Neuen Bund. Die Inkarnation Christi sprengt das göttlichen Sprechen mit Worten. Der Mensch ist an seiner Stelle, wie der Seher Johannes und schaut staunend die Ewigkeit Gottes. Zuerst in Christus, dann im Handeln derer, die ihm dienen. Die Verbalisierung ist dann die Leistung des Menschen durch die Führung der Engel. So erzählt es eines der Kirchenfenster wortlos, das den Seher Johannes auf dem Ölberg darstellt. Ein Engel zeigt ihm die sieben Leuchter der Apokalypse. Er schreibt und schafft Worte, damit andere in seinen Worten schauen, welche Wahrheit er mit den Augen erblicken durfte. Das Symbol des Evangelisten ist der Adler. Von oben hat man den besten Überblick.