An Heiligabend gehe ich nicht gerne in die Kirche. Ich weiß nicht, ob man das sagen darf. Aber es ist so. Für mich hat es nichts mit der weithin angemahnten Kommerzialisierung des Weihnachtsfestes zu tun. Denn im Gegenteil erlebe ich bei vielen Menschen, dass für sie in diesem kommerzialisierten Weihnachten Tradition bewahrt wird. Man weiß eben etwa, dass irgendwann im November der Weihnachtsmarkt anfängt. Dann gibt es nochmal einen Sonntag lang Ruhe. Niemand weiß mehr so genau warum, manchmal hört man noch ein Raunen von Toten- oder Ewigkeitssonntag.
Aber danach geht es in einem Rutsch auf Weihnachten zu. Dass man sich auf den Märkten trifft, Glühwein trinkt und mit lieben Menschen zusammen ist, ist für viele schon zu einer eigenen Tradition geworden. Wahrscheinlich hat diese Tradition sogar mehr Gewicht für das eigene Leben als die kirchliche. Und vielleicht ist es verwegen, aber die verzweifelte Suche nach Geschenken hat sicher auch vergleichbare Momente mit der Suche des Heiligen Joseph nach Unterkunft für seine werdende Familie.
Das Krippenspiel — Die Liturgie des Heiligabends
Nein, dass ich an Heiligabend nicht gerne in die Kirche gehe, hängt auch nicht an den Krippenspielen, die man überall erleben kann. Wobei ich nicht selten verwirrter aus der Kirche herausgekommen bin, als ich beim hineingehen noch war. Im Angebot ist oft der Klassiker: Darstellungen mit verschlissenen Bettlaken und eselsohrigem Steckenpferd. Bei diesem Krippenspiel werden gerne so nützliche Rollen wie „Ich war der Baum.“ verteilt.
Dann gibt es für die Generation der „Digital Natives“ hippe Adaptionen der Geschichte in die Gegenwart. Da funktioniert dann die trivago – App nicht, der Akku ist leer und die Powerbank vergessen; oder (für die etwas Konservativen) das Auto hat einen Platten. Manchmal gibt es für das anspruchsvolle Publikum von gestern auch richtig durchgestylete Darstellungen. Die haben dann gern gar nichts mehr mit dem Plot aus dem Evangelium zu tun, sondern „soll’n mehr so die Message ‚rüberbringen.“ Ein Mitbruder sagte mir mal: „Man könnte denken, unser Herr sei vor 2000 Jahren auf die Erde gekommen, damit wir heute alljährlich Krippenspiele aufführen können.“
Die Bescherung an Heiligabend — Liturgie des Privaten
Man kann die christlichen Hochfeste auch darüber definieren, dass es die Feste sind, die noch am meisten Einfluss auf das Privatleben der Gläubigen haben. An Weihnachten ist es die Bescherung und das familiäre Beisammensein. Das Osterfest lässt die Kinder in den Gärten nach Christus suchen. Da hatte die Liturgie der Kirche, also die Feier der Heiligen Geheimnisse, so starken Einfluss auf die Menschen, dass sie eigene Formen gefunden haben, an denen sie festhalten. Und vermutlich sind Kasualien (Taufe, Hochzeit, Erstkommunion/Firmung/Konfirmation usf.) mit der Definition, die ich vorgeschlagen habe, in der Wahrnehmung der Gläubigen längst zu Hochfesten geworden.
Jede Menge Erwartungshaltungen werden an die kirchlichen Feste gestellt: wenn zum Beispiel in der Christvesper nicht Stille Nacht gesungen wird, dann ist der Ärger vorprogrammiert… Aber auch im privaten schwingen solche Erwartungen oft unbewusst mit. Hier wie dort hängt von ihnen schließlich das Gelingen der Feier ab: wenn nicht Tante Tilly zwischen dem deftigen Braten und der süßen Nusstorte einschläft, dann… Oder, wie Loriot uns lehrte, wenn nicht genügend Lametta am Baum hängt… Und sobald dann die Familie nach der Feier gegangen oder auf den Zimmern verschwunden ist und die Eltern erschöpft auf dem Sofa einsacken, dann „haben wir’s wiedermal geschafft.“ (So mancher Diakon kennt dies‘ Gefühl nach der Osternacht und dem anspruchsvollen Gesang des Exsultet.)
Eine Kirche nach Weihnachten
Warum ich nicht gerne an Heiligabend in die Kirche gehe, lässt sich schwer in Worte kleiden. Aber jeder versteht es, der an den Weihnachtstagen zwischen den Feierlichkeiten in eine Kirche geht. Ich war dieses Jahr in der Heilig-Kreuz-Kirche in Limperich. Und ich hatte Glück, dass die Kirche offen war. Schade, dass unsere Kirchen nicht mehr durchgehend geöffnet sind. Die sehr freundliche Mesnerin saß, wohl auf jemanden wartend, auf einer Kirchenbank und ließ mir einige Momente des Gebetes und der Ruhe.
Der „Limpericher Dom“, wie die Kirche aus den 1960er Jahren im Volksmund heißt, hat einen eher wuchtigen Charme. „Viel Stein — wenig Fenster“, könnte man vielleicht sagen. Und doch ist die Krippe, die sich an der Epistelseite neben dem Chorraum versteckt, von ausnehmender Schönheit. Die filigranen Holzfiguren tragen Kleider aus echtem Stoff und stehen in krassem Gegensatz zur Architektur dieses Kirchraums.
Eine Krippe nach Weihnachten
Die Zusammenstellung der Figuren ließ mich das Geheimnis des Weihnachtsfestes in dieser stillen und etwas dusteren Kirche schauen. Dass da ein Kind geboren wurde, das dem menschlichen Auge nach nur ein Kind sein kann; und doch so viel mehr gewesen ist. Dass da in aller Armut des Ortes die strahlende Heiligkeit Gottes unscheinbar zur Welt kam. Dass da Maria, kaum älter als ein Mädchen und so arm, dass sie dem jungen Christus nur die Liebe einer Mutter schenken konnte, die Mutter Gottes werden durfte. All diese Gedanken sprangen in mir hin und her.
Bald 2000 Jahre ist die Kirche alt. Wenn die Tradition recht hat, wird sie irgendwann in den 2030ern ihr Jubiläum feiern dürfen. Und all diese unermesslich lange Zeit hat in diesem geheimnisvollen Moment ihren Anfang genommen. Mit dem ersten Schrei des Christkindes und dem Glück der jungen Mutter, die ihr Kind zum ersten Mal in den Armen hielt. Gott ist die Liebe. Davon erzählt diese Nacht.
Die Hirten kamen vom Felde herbeigelaufen und standen stille staunend vor der Heiligen Familie. Im Grunde war ich selbst unversehens zum Hirten geworden und stand dort wie die Holzfiguren als ein Teil der Krippe — 2000 Jahre später noch immer über dasselbe Geheimnis staunend.
„Kommet Ihr Hirten, ihr Männer und Frau’n
kommet das liebliche Kindlein zu schau’n!
Christus, der Herr, ist heute geboren,
den Gott zum Heiland Euch hat erkoren.
Fürchtet Euch nicht!“
Frohe Weihnachten! das wünscht Euch
Euer Liturgiefuchs